Vom Ueberbrett’l
Ich kam nicht als ein strenger Dante,
Der leichtgeschürzte Musen haßt,
Ich kam nicht als der Kunstverkannte,
Neidgelb, wo man in Lorbeer praßt.
Ich kam vom Popokatepet’l
Direkt mit D-Zug nach Berlin,
Zu schau’n das große Ueberbrettel
Und gläubig heimzuziehn.
In tollen Wassern wollt‘ ich platschen,
Vom Künstlerdreizack aufgewühlt,
Ich wollte rasend Beifall klatschen,
Wenn ich was „Göttliches“ gefühlt;
Ich gab den Obolus; den Zettel
Nahm sehnsuchtzitternd ich zur Hand,
Ich sah — und flieh vom Ueberbrettel —
Ins Katepettelland.
Von der Reklame Wettposaune
Mir schier das Trommelfell zersprang,
Die Nüster schnob nach Schöpferlaune
Und genialem Ueberschwang.
Mein Gott — zur halbverrückten Vettel
Demimondäner Modischkeit
Fand ich beim deutschen Ueberbrettel
Das Satyrspiel entweiht.
Talentchen tausend auf ein Titel
Behängt mit faulem Uebertand…
Die Muse rennt vom Markt zum Spittel,
Seitdem sie Alles „überwand“.
Sie legt sich auf den „lustigen“ Bettel
Beim Ueberunterpublikum —
Ich kam und sah das Ueberbrettel
Und kehr als Ketzer um.
Berlin W
Karl Henckell
Neues Wiener Journal, 9. Jahrg., 19. Oktober 1901, Nr. 2868, S. 5. Online
Hamburger Neueste Nachrichten, 5. Jahrg., 20. Oktober 1901, Nr. 247, S. 4. Online